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Schiedsrichter  

Traumurlaub oder Schiedsrichtereinsatz

Sandstrand – Meer – Sonne – Einfach ein Ort für einen entspannten Traumurlaub ODER perfekte Halle – sehr gute Versorgung – hochklassige Matches – Einfach die perfekten Bestandteile für einen erlebnisreichen Schiedsrichtereinsatz. Normalerweise muss sich jeder Schiedsrichter zwischen diesen beiden Extremen entscheiden. Aber was ist in unserer heutigen Zeit schon normal? Die TTBW-Schiedsrichter Melanie Timke und Lukas Eichhorn versuchten gemeinsam mit Thomas Schwark (TTVB) diese beiden Widersprüche zu vereinen.

Die Mission „Traumurlaub oder Schiedsrichtereinsatz“ startete aufgrund beruflicher Verpflichtungen erst am Mittag des 19. Februar 2020. Nachdem das Reisemobil mit Schiedsrichterausrüstung, Lebensmitteln und viel Vorfreude vollgepackt war, nahm man die erste Etappe in Richtung Cottbus in Angriff. Bei überraschend leeren und sehr gut asphaltierten Autobahnen verging der ca. 550 Kilometer lange erste Teil der Reise vorbei an den wunderschönen Städten Nürnberg, Bayreuth, Chemnitz und Dresden wie im Fluge. Bei einer kleinen Stadtrundfahrt durch die typisch ostdeutsche Stadt Lübbenau im Spreewald wurde das fehlende Mitglied der Reisedelegation, Thomas Schwark, eingesammelt. Den Blutzuckerspiegel hob man durch einen Zwischenstopp bei einem bekannten Drive-In-Restaurant für den zweiten Teil Fahrt auf ein akzeptables Niveau. Vorbei an Berlin verlief die rasante Tour direkt in Richtung Stettin. Kurz vor der polnischen Grenze sank der Blutzuckerspielgel des 2,0 l TDI-Motor des VW Touran spürbar ab, sodass dieser an einer günstigen Drive-In-Station angehoben werden musste. Die Grenze lag hinter den drei Schiedsrichtern und man bemerkte nach kurzer Zeit, dass etwas anders war. Schlechte Straßen, Baustelle an Baustelle und die düstere Vorahnung, dass man bis Mitternacht nicht am Zielort ankäme. Zum Glück besserte sich nach ca. 50 km die Lage und die Route führte mit konstanten 120 km/h über eine nagelneue Schnellstraße, die das Navi zur Verzweiflung trieb. Zwischen rechts abbiegen, links abbiegen, bitte wenden und geradeaus weiterfahren wechselte die Anzeige im 10 Sekunden-Takt. Das Ziel Mitternacht lag in greifbarer Nähe. Bis, ja bis zur Stadt Koszalin. Die Ausbaustrecke endete abrupt, die zu durchfahrenden Städte und Dörfer ließen die Durchschnittsgeschwindigkeit auf 60 km/h fallen. Die letzten ca. 200 km zogen sich wie Kaugummi und die wunderschöne Landschaft war durch die tiefschwarze Nacht nur zu erahnen. Die Uhr zeigte 1:30 Uhr als der wunderschön gepflasterte Vorplatz des Hotels nach mehreren Buckelpisten erreicht wurde. Nachdem die Ankunft beim Assistant Referee Marcin Fidala wie abgesprochen ca. 30 Min. zuvor per Whatsapp angekündigt wurde, war die Vorfreude auf ein Empfangskomitee groß. Doch im Hotel war keine Menschenseele mehr anzutreffen. Nach 20-minütiger Wartezeit im Halbschlaf, einem Telefonat mit dem polnischen Rezeptionisten und kurzer Konfusion über die Zimmernummern, wurden die Schlüssel ausgehändigt, das Auto ausgeladen, die Zimmer bezogen und der Schlafmusik des Kopfkissens gelauscht.

Der erste Einsatztag begann für Melanie und Lukas nach ca. 4 Stunden Schlaf, einem schnellen Frühstück und 10 Min. Fußweg (zum Aufwachen) überraschend früh. Der Referee Carlos Silva hatte sie für die erste Runde um 9 Uhr eingeplant. Diese erstaunliche Nachricht wurde ungefähr 12 Stunden zuvor, nachdem das Briefing beendet war, ins Reisemobil per Whatsapp übermittelt. Mit dem Einsatzplan wurde auch deutlich, dass der erste Tag mit nur einem Schiedsrichter pro Tisch bestritten wird. Das verpasste Briefing holte Carlos innerhalb von 5 Min. mit Melanie und Lukas am Referees Desk nach. Da es kaum vorstellbar war, dass Carlos 60 Min. Briefing in 5 Min. zusammenfassen konnte, wurden viele weitere Informationen des Briefings durch genaues Beobachten der Kolleginnen und Kollegen und mehrmaliges Nachfragen bei Carlos und den Assistant Referees herausgefunden. Die Spielhalle war klar ersichtlich in zwei Teile getrennt. Die Tische 1-8 waren für die stehenden Spieler (Klassen 6-11) und die Tische 9-14 mit etwas kleineren Boxen für die Rolli-Fahrer (Klassen 1-5) reserviert. Lukas startete sofort voll durch und hatte drei Spiele am Stück mit stehenden Spielern, die von 2 Runden Call Area gefolgt wurden. Nachdem Melanie im Wechsel zwei Mal Call Area Dienst und Matches in den Rolli-Klassen erfolgreich absolviert hatte, stieß Thomas in der Mittagspause dazu. Doch bevor das Mittagessen ausgekundschaftet wurde, stattete die deutsche Reisegruppe bei strahlendem Sonnenschein der polnischen Ostseeküste einen Kurzbesuch ab. Ein kurzer Irrweg durch das Hotel, in dem das Essen eingenommen wurde, endete an der Rezeption. Nach der erfolgreichen Übernahme der Eintrittskarten in das Restaurant, kundschafteten Melanie und Lukas zuerst das Speisenangebot auf der Suche nach etwas Passendem aus. Melanie wagte das Abenteuer erfolgreich, während sich Lukas an seinem eigenen Essen erfreute. Thomas genoss das reichhaltige Angebot und strahlte über beide Ohren. Am Nachmittag durfte Lukas drei Spiele Erfahrung mit Rolli-Fahrern und deren Besonderheiten sammeln, während Melanie vier Spiele in den stehenden Klassen absolvierte. Der erste Tag war mit vielen neuen Eindrücken, beeindruckend fixen Ballkindern und jeweils 6 geleiteten Spielen für Melanie und Lukas um 16 Uhr beendet. Im Anschluss ging es schleunigst ins Hotel, Umziehen und wieder zurück auf das Sportgelände, um die Halle und das Restaurant rechts liegen und den ersten Tag mit einem Strandspaziergang an der Ostseeküste ausklingen zu lassen. Nach ca. 1,5 Stunden endete die Inhalation der salzhaltigen Meeresluft in völliger Dunkelheit und der Rückweg ins Hotel wurde angetreten. Ein kurzer Abstecher ins Restaurant lieferte die Gewissheit, dass das Abendessen ins Hotel verlegt wird. Dort angekommen, wurden die mitgebrachten Kartoffeln und unterschiedliches Gemüse zubereitet, verspeist und der fehlende Schlaf aus der vorhergehenden Nacht nachgeholt.

Nach einer erholsamen Nacht startete der Endrundentag in den Einzelwettbewerben, die bis zur Mittagspause beendet waren. Am Morgen wurden alle Personen, die die Halle betraten, von einer freundlichen jungen Dame des Sanitätsdienstes mit einem Fieberthermometer begrüßt. Der Corona-Virus zeigte in Polen schon Ende Februar seine ersten Auswirkungen. Die folgenden vier Spiele genossen alle Schiedsrichter, da man in Teams arbeiten dufte und sich dadurch unterstützte und besser kennenlernte. Alle deutschen Schiedsrichter erhielten mit ihren Teampartnern Finalspiele in den stehenden Klassen. Im Anschluss an die Mittagspause, die Melanie und Lukas mit einigen polnischen Kollegen in der sehr gut vorbereiteten und üppig mit Essen und Trinken versorgten Umpires Lounge in der Halle verbrachten, standen die ersten Team-Matches auf dem Tableau. Nun wieder alleine am Tisch verliefen die meisten Teamwettkämpfe einseitig, sodass es viele 3:0 Spiele gab und die meisten Teammatches nach zwei Matches beendet waren. Eine Ausnahme bildete die einzige weibliche deutsche Schiedsrichterin. Sie genoss die Zeit am Rolli-Fernsehtisch 11 und wollte diesen gar nicht mehr verlassen. In einem äußerst spannenden Doppel, das von zwei ebenso engen Einzeln gefolgt wurde, zählte sie insgesamt 15 Sätze, die reihenweise in der Verlängerung endeten. In diesen harten und anstrengenden zwei Stunden (eigentlich sollte nach einer Stunde der nächste Teamwettkampf starten) erhielt sie lediglich Unterstützung von zwei Ballkindern, die sie teilweise für kurze Zeit ebenfalls verließen und den netten und hilfsbereiten Spielern in ihren Rollstühlen. Doch zum Glück gab es nette Schiedsrichterkollegen in der Call Area, die ihren nächsten Mannschaftskampf vorbildlich vorbereiteten, sodass sie nach einer kurzen Pause von 5 Min. zu ihrem nächsten Match pünktlich in einer anderen Box stand. Die letzten Einsätze an diesem Tag verliefen wieder deutlich, sodass man gegen 20 Uhr den Rückweg ins Hotel antrat. Nachdem der Abfluss des Waschbeckens zerlegt, geputzt und repariert war, konnte das Mittagabendessen zubereitet, verspeist und das Geschirr gespült werden. Danach traf man die ersten Vorbereitungen für eine mögliche Heimreise am nächsten Tag.

Am dritten und letzten Turniertag standen die Endrundenmatches in den Teamwettbewerben auf dem Programm. Melanie kam noch einmal in den Genuss eines Teamwettkampfes mit Rolli-Spielern, den sie mit Bravour und ohne Probleme innerhalb des Zeitplans absolvierte. Lukas zeigte sein Können bei den stehenden Klassen. Die letzte Runde, in der Melanie und Lukas eingesetzt waren, startete um 15:45 Uhr. Diese Mal zeigte Lukas, dass auch er kein absoluter Garant für schnelle Spiele ist. Nachdem zuvor alle Teamwettbewerbe unter Lukas´ Leitung 2:0 endeten, ging sein letztes Spiel im Doppel und den anschließenden Einzeln über die volle Distanz und fand sein Ende erst beim Stand von 2:1. Die Verabschiedung von den Kollegen fiel aufgrund der fortgeschrittenen Zeit sehr kurz aus, da man am Nachmittag die Entscheidung traf, die Heimreise noch am gleichen Tag anzutreten. Deshalb ging es umgehend zurück ins Hotel, umziehen, Auto laden und zurück in Richtung Deutschland.

Die erste Fahrstunde prägte die noch zu erkennende Landschaft und das vorbeiziehende Meer. Die hereinbrechende Nacht tauchte die Landschaft in ein tiefes Schwarz, sodass lediglich die Scheinwerfer und die Straßenlaternen in den Ortschaften und Städten die Nacht erhellten. Die Reiseroute führte wieder über Reda, Lebork, Slupsk nach Koszalin. Ab diesem Zeitpunkt führte der Weg erneut über die nagelneue Schnellstraße 6 vorbei an Kolberg, Goleniow und Stettin direkt nach Deutschland. Der starke und in orkanartigen Böen auftretende Seitenwind verlangsamte die Heimreise deutlich. Nach zwei kurzen Zwischenstopps, um die Bedürfnisse von Mensch und Auto zu stillen, führte die Reiseroute vorbei an Berlin direkt nach Lübbenau. Während der langen gemeinsamen Tour wurden viele Probleme im Schiedsrichterwesen diskutiert, Neuerungen ausgetauscht und Ideen gesponnen. Nach einer herzlichen Verabschiedung von Thomas, legten Melanie und Lukas gegen 2 Uhr in Dresden einen kurzfristigen Übernachtungsstopp ein. Die schon gewohnt kurze Nacht endete um 7 Uhr. Anschließend ging es auf direktem Wege zurück nach Öhringen.

Der Einsatz bei den ITTF PTT Polish Open vom 20.-22. Februar 2020 in Wladyslawowo brachte viele neue Erfahrungen, Erkenntnisse und Erlebnisse. Aufgrund der vorbildlichen Organisation und dem relativ entspannten Einsatzplan konnte man auch die Meeresluft genießen und sich vom stressigen Arbeitsalltag erholen. Am Ende waren sich alle drei deutschen Schiedsrichter einig, es gelang die ideale Symbiose zwischen einem kurzen Traumurlaub und einem unvergesslichen Schiedsrichtereinsatz.

Text: Lukas Eichhorn  Foto: Melanie Timke und Lukas Eichhorn

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