Manch einer reibt sich derzeit verwundert die Augen, wenn er mitbekommt, wie es die 16-jährige Annett Kaufmann schafft, den Leistungssport auf Profi-Niveau zusammen mit den stetig wachsenden Herausforderungen in der Schule unter einen Hut zu bringen. „Es läuft eigentlich ganz gut“, sagt die Bietigheimer Gymnasiastin von Tischtennis Bundesligist SV Böblingen, „momentan ist trotz vieler Klausuren der Stress etwas gedämpft, da ich recht oft in der Schule war.“
Was in den vergangenen Monaten nicht immer eine Selbstverständlichkeit war. „Das internationale Programm ist schon extrem geworden“, sagt auch Sönke Geil, Sportdirektor von Tischtennis Baden-Württemberg und verweist auf die Pflichten, die für die Topspielerinnen mit dem Ausblick auf Olympia 2024 in Paris einhergehen. „Um wichtige Punkte für die Weltrangliste zu sammeln, ist es schlichtweg notwendig, zahlreiche internationale Turniere der WTT-Serie zu bestreiten“, sagt Sönke Geil. Und das trifft dann auch auf das 16-jährige Ausnahmetalent zu, das seit dem vergangenen Jahr dem deutschen Perspektivkader der Damen angehört.
Und das zuletzt von Erfolg zu Erfolg eilte. Das Jahr 2021 war zugleich das Jahr, das einiges veränderte. Damals gewann sie drei EM-Titel in der U 15-Jugend, wurde zudem Europameisterin in der Altersklasse U 21 und mit dem deutschen Damenteam. Zugleich bestritt sie für die deutschen Damen ihr erstes Länderspiel. Im letzten September wurde Annett Kaufmann für die Team-Weltmeisterschaften im chinesischen Chengdu nominiert. „Auch wenn ich nicht aktiv zum Gewinn der Bronzemedaille beitragen konnte, war das eine Wahnsinns-Erfahrung“, sagt Kaufmann heute.
Genau die Erfahrung ist es, die sie auch weiterhin in allen Tischtennisbereichen sammeln möchte – und muss. Deswegen will sie die vielen Reisen und Turnierteilnahmen in jüngster Vergangenheit gar nicht missen. In den Osterferien spielte sie beim WTT Youth Star Contender in Podgorica, schied nach Platz zwei in der Vorrundengruppe im Achtelfinale gegen die Chinesin Fan Shuhan aus. Ebenso im Doppel-Viertelfinale mit Hana Arapovic, Noch-Spielerin von Bundesliga-Absteiger ESV Weil. Ob sie diese Auslandstrips als Anstrengung empfindet? „Anstrengung ist das falsche Wort. Natürlich ist man sportlich gefordert, aber das Drumherum macht mir Spaß“, sagt Annett Kaufmann, „da ich nicht mehr so oft bei Jugendturnieren spiele, freue ich mich, wenn ich mal wieder bekannten Spielerinnen meiner Altersklasse begegne. Es macht mir Spaß, mit ihnen Zeit an der Platte oder auf dem Zimmer zu verbringen.“ Außerdem, so betont sie, sei Tischtennis schließlich ihre Leidenschaft und da freue man sich auf jedes Turnier. „Aber klar ist auch, dass es mal Tage gibt, an denen man auch mal etwas weniger motiviert ist.“
Apropos Motivation: An „normalen“ Wochen, an denen sie zur Schule geht und fünf bis sechs Mal in Böblingen mit regionalen Tischtennisgrößen wie Abwehrspieler Florian Bluhm (3. Bundesliga Sportunion Neckarsulm) oder Dauud Cheaib (3. Bundesliga Sportbund Stuttgart) trainiert, stand zuletzt – neben dem Athletiktraining – verstärkt Mentaltraining auf dem Programm. Auch in Hinblick auf die kommenden Höhepunkte wie die deutschen Jugendmeisterschaften in Lehrte (29./30. April) und vor allem die Einzel-Weltmeisterschaften der Erwachsen im südafrikanischen Durban (20. bis 28. Mai) wird diesem Bereich eine größere Bedeutung beigemessen. Zwischendurch will Annett Kaufmann mit der SV Böblingen den Sprung ins Bundesliga-Playoff-Halbfinale schaffen. „Alles ist offen, wir werden kämpfen bis zum Geht-nicht-mehr“, gibt die 16-jährige vor den Viertelfinalspielen gegen den TSV Schwabhausen (5. und 7. Mai) schon mal die Richtung vor.
Überhaupt fühlt sich Annett Kaufmann, Tochter eines Eishockeyspielers und einer ehemaligen Skiabfahrtsläuferin, seit ihrem Wechsel im Jahr 2019 vom TTC Bietigheim-Bissingen nach Böblingen sehr wohl. „Ich könnte mir zum jetzigen Zeitpunkt durchaus vorstellen, noch ein paar Jahre in Böblingen zu spielen, sofern sie mich auch weiterhin wollen“, sagt die 16-jährige Linkshänderin und lächelt. Zugleich macht sie auch keinen Hehl daraus, Anfragen von anderen Vereinen bekommen zu haben. Was in Tischtenniskreisen niemanden verwundert. „Die Atmosphäre ist hier supercool, ich liebe unsere Mannschaft“, schwärmt die frisch gekürte deutsche Vizemeisterin von der SVB, die zugleich mit Freude zur Kenntnis nahm, dass ihre Schwester Alexandra nach einjähriger Stippvisite in Sindelfingen nun wieder nach Böblingen zurückkam und das Erstliga-Team ergänzt. Eine Lanze bricht Annett Kaufmann auch für die unverwüstliche Qianhong Gotsch: „Eine lustige Person mit viel Erfahrung und vielen coolen Geschichten. Sie hat immer ein offenes Ohr für mich und Autofahrten mit ihr zu den Auswärtsspielen sind immer ein Erlebnis.“
Wie bei „Hongi“ Gotsch erfolgte auch bei Annett Kaufmann die einjährige Vertragsverlängerung per Handschlag – in diesem Fall mit den Eltern. „Über das kommende Jahr hinaus will ich eigentlich gar nicht planen“, sagt Manager Frank Tartsch, dem die Mechanismen im Leistungssportumfeld durchaus bekannt sind. „Nach dem Abitur von Annett sieht man weiter. Es steht sicherlich noch in den Sternen, was sie danach macht. Ob sie ein Tischtennisjahr einlegt oder gleich beruflich irgendwo einsteigt. Oder ob sie für adäquate Trainingspartner womöglich den Stützpunkt wechseln muss. Das alles wird die Zukunft zeigen.“
Bericht: Thomas Holzapfel
Fotos: privat/Volker Arnold