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Fusion  

Meinungsbeitrag: Warum eine Fusion sinnvoll ist

Ein Plädoyer von TTBW-Referent Dirk Lion

Der folgende Beitrag wurde von Dirk Lion, hauptamtlicher Referent von Tischtennis Baden-Württemberg, erstellt. Das Präsidium von Tischtennis Baden-Württemberg hatte ihn beauftragt, den Stand der Fusionsbemühungen darzustellen und seine persönliche Sichtweise einzubringen. Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin "tischtennis" Ausgabe 1/2019.

Liebe Tischtennisfreundinnen und Tischtennisfreunde,

viel ist in den letzten Wochen und Monaten geschrieben worden: Ich bin dafür! Ich bin dagegen! Fusion? Brauchen wir nicht! Können wir alleine viel besser! Der folgende Beitrag möchte möglichst nüchtern ein paar Sachpunkte näher beleuchten und fundierte Argumente diskutieren.

Die Verantwortlichen der drei Verbände sind Anfang 2017 angetreten, um die bisherige Zusammenarbeit auf eine neue Ebene, die Verbandsebene, zu heben. Dies geschah vor dem Hintergrund jahrelanger erfolgreicher Zusammenarbeit: Sechsmaliger Deutschlandpokalsieger (in Folge!) bei der Jugend. Auch bei den Seniorinnen und Senioren läuft es prima (zwei Siege!). Trainerinnen und Trainer haben riesige Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten in ganz BaWü dank Tischtennis Baden-Württemberg und, so merke ich immer wieder auf den Aus- und Fortbildungen, an denen ich mitwirke – sie wissen dies auch zu schätzen. Da erscheint es durchaus naheliegend, das noch Getrennte ebenfalls zu vereinen. Oder?

Denn: warum muss man in drei Geschäftsstellen Miete bezahlen, wenn die Geschäftsstelle in Stuttgart 2021 abbezahlt ist und nur noch Nebenkosten verursacht? Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch teilweise von zu Hause arbeiten können, also weiterhin als Ansprechpartner da sind? Wenn sowieso de facto heute alles per Mail und Post läuft, physische Besuche gen Null tendieren? Oder?

Denn: Warum soll die Sportentwicklung mit ihren Möglichkeiten für die Vereine und Bezirke nicht BaWü-weit eingeführt und hauptamtlich betreut werden, so dass Vereine statt einer kurzfristigen Aktion über einen längeren Zeitraum Unterstützung erfahren? Jeder Trainer weiß: Die Arbeit ist nicht die mini-Meisterschaft. Oder die Schulaktion. Die Arbeit entsteht in den Wochen danach, wenn man plötzlich alleine mit 30 Kindern in der Halle steht.  Auch hier scheint eine leistungsstarke, hauptamtliche Geschäftsstelle Vorteile für die Vereine und Bezirke zu erbringen - zum Beispiel durch den Einsatz von FSJ-Mitarbeitern - im Vergleich zu dem (sehr wichtigen) Ehrenamt. Oder?

Denn: Wer hat in den Vorab-Gesprächen mit dem DTTB vor wichtigen Entscheidungen eine Stimme, die gehört wird? Das kleine Saarland wird hierzu nicht eingeladen. Ein großes Baden-Württemberg schon – derzeit der TTVWH, der sich, obwohl er dies nicht müsste, aber immer auch mit Baden und Südbaden abstimmt. Diese sportpolitische Komponente hat, wie man von den Verantwortlichen erfahren kann, wenn man sie denn fragt, eine äußerst hohe Bedeutung, um Entscheidungen im Sinne der eigenen Vereine und Bezirke beeinflussen zu können. Dabei sein, statt außen vor zu bleiben! Oder?

Also alles rosarot und schön im neuen Baden-Württemberg? Natürlich nicht.

Fusionen bergen immer das Risiko des Scheiterns. Denn wer fusioniert, der gibt (lieb-)gewonnenes auf. Der macht Kompromisse, wo er vorher Alleinentscheider war. Und allgemein ist der Mensch ein Wohlfühltier, Veränderungen gehören nicht zu seinen liebsten Dingen: „Ich will bleiben wie ich bin!“ obwohl wir alle wissen, dass dies der Tod für Fortschritt und Erfolg ist. Richtig ist: Es wird Veränderungen geben. Dazu später mehr.

Auch im Tischtennis haben sich in den jeweiligen Verbänden bestimmte Strukturen ausgebildet. Sie sind vergleichsweise starr, viel starrer als in Wirtschaftsunternehmen. Diese Strukturen sind aus ganz unterschiedlichen Gründen und Gedankengängen entstanden und – sehr wichtig – haben alle ihre Berechtigung.

Und dennoch erlebt man in ungezählten Sitzungen jede Menge gelebte Konstruktivität seitens der Vertreter aller drei Verbände. Rücksichtnahme. Aufeinander zugehen und sich einigen – im Sinne der Sache. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller drei Landesverbände, die seit rund zwei Jahren viel Zeit und Nerven in dieses Projekt investieren, gebührt dafür allergrößter Respekt.

Ich erlebe gleichzeitig aber leider auch immer wieder gezielte Provokationen. Nachfragen, die kein anderes Ziel haben als zu diskreditieren. Die keinerlei Produktivität in den Prozess hereinbringen, sondern Zeit und Kraft kosten. Von Personen, die keinerlei eigene Vorschläge einbringen oder, in ihren eigenen Verbänden, keinerlei eigene Ideen verwirklichen, was sie ja jederzeit könnten, um zu zeigen, dass sie es besser machen - Tischtennis Baden-Württemberg aber für den Versuch, etwas zu bewegen, kritisieren. Die Nachfragen stellen, diese argumentativ beantwortet bekommen, aber es dennoch nichts an ihrer Meinung ändert – weil diese Fragen nicht darauf abzielen, etwas an der Meinung zu ändern.

Dies ist schade und zerstört, so mein Empfinden, die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die seit 15 Jahren aufgebaut wurde. Der alte lateinische Spruch „Cui bono?“ (Wem zum Vorteil?) sollte sich immer wieder vor Augen geführt werden. Welche Interessen sind es, aus denen heraus so gehandelt wird?

Gute Argumente: Die Bezirke sind der Schlüssel

Ich teile das Argument des Sportwartes Rhein-Neckar, Elmar Graefen, der eine Verschmelzung ablehnt, dass die Bezirke die Schlüsselspieler der Zukunft sind. Sie sind nah dran an den Vereinen, können etwas organisieren und müssen von Verbandsseite bestmögliche Unterstützung erfahren – aber nicht durch den DTTB, der dies für alle 20 Verbände gar nicht leisten könnte. Doch die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen sind meiner Meinung nach falsch – und gefährlich.

Denn: Es mag Bezirke geben, in denen alles reibungslos funktioniert: Zu wenig Ehrenamtliche? Haben wir noch nie gehabt! Den Verband? Brauchen wir nicht! Doch wer so argumentiert, argumentiert gefährlich (und vergisst, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, auch mal das eigene Alter oder das Durchschnittsalter der verantwortlichen Personen).

Aufgabe eines Verbandes: Das große Ganze im Blick behalten

Aufgabe eines Verbandes ist es, das große Ganze im Blick zu behalten.  Kein Phänomen, zum Beispiel einen Bezirk, isoliert zu betrachten, sondern allgemeine Entwicklungen und Tendenzen wahrzunehmen. Jeder Leser kennt diese Tendenzen oder kann sie mit zwei Minuten Eigenrecherche herausfinden: Sinkende Mitgliedszahlen im Tischtennis sowie allgemein in den meisten Olympischen Sportarten. Stark rückläufiges Ehrenamt, das zudem mit immer mehr Aufgaben konfrontiert ist. Hallenmiete verhandeln? Vor zehn Jahren fast überall undenkbar. Oder: Welcher Ehrenamtliche wusste vor zwei Jahren, dass er sich mit einer Datenschutz-Grundverordnung auseinandersetzen muss?

Das Ehrenamt bildet auch weiter das Rückgrat des Sports. Es ist und bleibt unersetzbar. Aber es durchlebt zwangsläufig einen Wandel, der überall in der Gesellschaft zu erleben ist. Dies mag bedauernswert sein – aber die Entwicklung zu leugnen und zu ignorieren, ist fatal. Das Ehrenamt wird, so meine These, genau dadurch gestärkt, dass manches zukünftig vom Hauptamt abgenommen und erledigt wird – so dass sich die Ehrenamtlichen wieder auf die zentralen Aufgaben fokussieren können, statt in einem Aufgabenfeuerwerk dauerhaft überfordert zu sein. Im letzten „tischtennis“ war dazu unter dem Titel „Kreativität ist gefragt“ ein ausführlicher Artikel veröffentlicht, in dem der Referent des DOSB diese Tendenzen bestätigte – insbesondere bei Amtsträgern mache sich dieser Trend am stärksten bemerkbar. Ein Satz, der uns aufhorchen lassen sollte. 

Dies sind Fakten. Sie sind in manchem Verein ausgeprägter als in anderen. Sie sind in manchem Bezirk stärker ausgeprägt als in einem anderen, das ist richtig. Aber die Tendenz und Entwicklung ist eindeutig und nicht zu leugnen. Hier in seinem gallischen Dorf (Bezirk) auf seiner Position zu verharren ist äußerst kurzsichtig und wird dem TT-Sport auf lange Sicht schaden.

Die alles entscheidende Frage: kleiner oder großer Verband?

Kann ein kleiner oder ein großer Verband mehr leisten und erreichen? Die Antwort ist nie nur einseitig und final, aber Tendenzen lassen sich meiner Meinung nach erkennen.

Zuerst rein ergebnisfokussiert: Ist es das kleine Saarland, das regelmäßig die vorderen Plätze bei Ranglisten und Meisterschaften belegt? Oder sind es die großen Verbände, einschließlich Baden-Württemberg? Die Antwort fällt in diesem Punkt eindeutig aus: Es sind die großen Verbände, die, natürlich mit Ausnahmen, meist die vorderen Plätze belegen. Hier scheint ein Zusammenhang zwischen Größe und – regelmäßigen, immer wiederkehrenden – Erfolgen zu bestehen. 

Aus der Sicht der Vereine auf den Verband: Der Verband hat den Vereinen, seinen Mitgliedern, zu dienen. Er stellt Ansprechpartner zur Verfügung. Ist dies durch ehrenamtliche Strukturen, wo die Mitarbeiter häufig noch im Berufsleben stehen, als Ansprechpartner besser leistbar? Oder durch eine hauptamtliche Geschäftsstelle, die den Vereinen täglich zu jedem Fachgebiet einen fachlichen Ansprechpartner zur Verfügung stellt? Es scheint, als wäre eine bessere (und intensivere) Unterstützung für die Vereine durch ein hauptamtliches Engagement eher gewährleistet.

Aus Trainersicht: In einem kleinen Verband ist die Auswahl an Referenten, Lehrgangsorten und Themen (sowie TrainerInnen, die man kennenlernt und Netzwerke bildet) zwangsläufig kleiner, als in einem großen Verband bzw. als dies derzeit der Fall ist. Ob dies als Nachteil empfunden wird, ist Ansichtssache.

Organisational: Hinsichtlich der Anzahl von Treffen und dem Austausch werden sich Dinge verändern, das ist richtig. Ob zum Negativen oder Positiven ist eine Frage der Perspektive. Sicher ist, dass sich die Formen der Zusammenkünfte ändern werden. Sei es, weil die Regionen an Bedeutung gewinnen und in diesen Regionen verstärkt Treffen stattfinden. Sei es, weil vielleicht auch moderne Kommunikationsmedien – in anderen Branchen und Verbänden schon viel länger und viel stärker im Einsatz – diese Arbeit unterstützen. Und damit, am Rande, Kosten einsparen, die anderweitig investiert werden können. Und dies müsste im Sinne der Funktionäre, „Diener der Vereine“ wie Elmar Graefen sie in der letzten Ausgabe treffend nannte, sein. Eine gewisse Flexibilität für Neuerungen und Änderungen wird bei einer möglichen Verschmelzung sicherlich verlangt. Es ist die berühmte Frage, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist, wie man damit umgeht und es aktiv mitgestaltet oder es lediglich kritisiert.

Mitbestimmung: In einem kleinen Verband ist mancher Weg kürzer. Sei es geographisch, sei es im übertragenen Sinne. Der Druck zu Kompromissen wird in einem großen Verband höher. Meiner Erfahrung nach sind die Bezirke sich untereinander viel näher, als sie denken. Denn die Probleme, Fragen und Anliegen gleichen sich. Die Bezirke – und damit die Vereine – stellen die Mehrheit im Landesverbandsausschuss und werden, egal woher sie kommen, eher miteinander gegen das Präsidium agieren, als nach Proporz – rein, weil es aus Interessensicht große Schnittmengen gibt. Die Mitbestimmung verändert sich auch durch das Delegiertensystem. Manch ein Verein ist froh, nicht mehr zu dieser Pflichtveranstaltung zu müssen oder die Strafe zu zahlen. Ein anderer Vereinsvertreter wird sich als Delegierter wählen lassen wollen. Hier ergeben sich divergierende Ansichten, die beide ihre Berechtigung haben. Auch in der bewusst schlank gehaltenen Satzung haben die Bezirke größtmögliche Freiräume. Meine These: Für viele Vereine und Bezirke ändert sich so wenig, dass der Übergang zu einem neuen Verband kaum bemerkt wird.

Wünsche für das neue Jahr

Was ich mir für das neue Jahr wünsche? Dass alle Entscheiderinnen und Entscheider auf die Fakten blicken. Dass wir uns im Tischtennis positiv von dem weltweiten Trend abheben und populistischen Aussagen, häufig schwach bis gar nicht argumentativ fundiert, widersetzen. Dass wir erkennen, was lediglich Hören-Sagen und Gerücht ist und wir uns bei Unklarheiten an die jeweiligen Verantwortlichen wenden, wie dies in der Vergangenheit schon viele aufrichtig und offen getan haben.  Das ist der Weg. Dass hinterfragt wird, wer was aus welcher Intention heraus postuliert und ob tatsächlich das reine Sachargument im Vordergrund steht.

Wer glaubt, dass er viel Porzellan zerbrechen und gleichzeitig zukünftig weiter alle Vorteile von Tischtennis Baden-Württemberg erhalten kann, die vielen gar nicht mehr bewusst, weil längst selbstverständlich sind, der handelt - meiner Meinung nach - illusionär. Der weckt Erwartungen bei seinen Vereinen und Bezirken, in deren Sinne er zu handeln hat, an denen er sich zukünftig messen lassen wird. Luftschlösser haben den Nachteil, dass der kleinste Windzug sie als Illusion enttarnt.

Nein, Tischtennis Baden-Württemberg ist nicht perfekt. Wird es auch nie sein. Aber es ist das Beste, was wir haben. Das haben die letzten 15 Jahren gezeigt.

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