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Familie El Haj Ibrahim

Trainingseinheiten in der Autowerkstatt

Die Familie El Haj Ibrahim vom VfL Herrenberg hat sich komplett dem Tischtennissport verschrieben

Trainingseinheiten in der Autowerkstatt

Von Thomas Holzapfel

 

Ehemals waren es die Schumacher-Brüder in der Formel eins oder die Klitschko-Brüder im Boxen, aktuell bewundert man noch die Williams-Schwestern im Tennis oder die Bender-Zwillinge im Fußball – erfolgreiche Geschwister im Profisport sind der Öffentlichkeit hinlänglich bekannt. Auch im Amateursport hat sich vielerorts das sportliche Gen auf mehrere Familienmitglieder ausgebreitet. Ein Paradebeispiel liefert die Familie El Haj Ibrahim aus Gäufelden-Nebringen, bei der sich gleich vier Familienmitglieder aus zwei Generationen leidenschaftlich dem Tischtennissport widmen. Vier Mal Tischtennis pur von der Kreisliga der Männer bis in die Verbandsliga der U 18-Jugend.

„Den Zeitpunkt, als meine Kinder mich leistungsmäßig im Tischtennis überholten, habe ich schlichtweg verpasst“, sagt Talal El Haj Ibrahim, der nach eigener Aussage inzwischen nichts mehr ausrichten kann gegen seine Kinder, weder gegen die Söhne Ahmad (14) und Mahmoud (12) noch gegen die erst 11-jährige Fatme. „Es ist erstaunlich, welche Leistungssprünge sie in den letzten Monaten gemacht haben, das ist wirklich toll anzusehen.“ Dass die drei Schützlinge des Verbandskadertrainings derzeit auf der sportlichen Karriereleiter Stufe um Stufe nach oben klettern, überrascht auch deshalb, weil in der momentanen Corona-Situation schlichtweg keine optimale Förderung stattfinden kann. Das Training im Böblinger Tischtenniszentrum konnte zuletzt nur von Fatme als Mitglied des Landeskaders wahrgenommen werden, den beiden tischtennisbegeisterten Jungs blieb indes nur der Plan B.

Und dieser kann sich durchaus sehen lassen. In der Werkstatt von Vater Talal, der sich beruflich in Ammerbuch-Altingen als Kfz-Meister niedergelassen hat, stehen nicht nur reparaturbedürftige Autos, sondern in einer gut beleuchteten Ecke, gleich neben den Büroräumlichkeiten, auch ein Tischtennistisch. Der gerade in diesen etwas schwierigeren Zeiten öfter herhalten muss als in der Vergangenheit. „Die Kinder haben einen großen Spaß hier, zumal es sich mit Bodenheizung angenehm trainieren lässt“, sagt Talal El Haj Ibrahim, der lange Jahre als Serviceberater bei einem regionalen Autohändler angestellt war und dann den Schritt in die Selbstständigkeit machte. Mittlerweile verbringt er „gut und gerne achtzig Prozent eines Tages hier in der Werkstatt“ und ist dementsprechend froh, wenn die Familienmitglieder in seiner Nähe sind. „Ab und zu machen wir auch unsere Hausaufgaben hier“, sagt Ahmad, Neuntklässler am Herrenberger Schickhardt-Gymnasium.

Ein Blick zurück: Talal El Haj Ibrahim kam Mitte der 1980er-Jahre mit seinen Eltern und drei Geschwistern aus dem Libanon über Umwege in den Süden Deutschlands. „Die Zeit während des Bürgerkriegs hat einen schon geprägt, obwohl ich noch recht jung war“, sagt der heute 41-jährige, „einige Verwandte habe ich damals im Krieg verloren.“ Zunächst über Österreich, dann über die DDR und Westberlin, wo sie knapp zwei Monate in einem Asylantenheim wohnten, landete die Familie daraufhin in einem Heim in Karlsruhe. „Das allerdings nur für vier Tage, danach ging es in die alte Kaserne nach Tübingen und weitere drei Monate später erfolgte die Verlegung nach Herrenberg“, schildert El Haj Ibrahim den aufreibenden Verlauf, bis dann im Gäu endlich der feste Wohnsitz feststand. „Theoretisch hätte es uns auch nach Dubai verschlagen können, da mein Vater beruflich dort als Filmübersetzer tätig war und wir zwischendurch auch mal dorthin auswanderten.“ Das alles ist mittlerweile Geschichte, seit vielen Jahren wohnt die Familie in Nebringen und hat sich mehr als nur integriert.

Eine durchaus richtungsweisende Aktion für den noch jungen Talal El Haj Ibrahim war 1993 der erstmalige Besuch des Herrenberger Tischtennistrainings. „Ein Freund hat mich zum VfL mitgenommen und seitdem bin ich in diesem tollen, familiären Verein aktiv“, sagt der Hobbyspieler, der den zweiten Platz bei den Herren B-Vereinsmeisterschaften als seinen größten sportlichen Erfolg tituliert. Ein Erfolg, über den seine Kinder vermutlich eher schmunzeln. Seit jeher sportlich veranlagt, zuweilen im Handball und anderen Ballsportarten aktiv, verschrieb sich mittlerweile auch der eigene Nachwuchs dem schnellen Sport mit dem kleinen Ball. Und die erzielten Erfolge bereits im jungen Alter sind beachtlich: Mahmoud, von allen nur „Mudi“ genannt, spielt zusammen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder in der U 18-Verbandsliga, in der der VfL bis zur Saisonunterbrechung alle Partien gewann. Auch im Erwachsenenlager sorgen die beiden Youngsters für Furore, mit einer beeindruckenden Einzelbilanz von jeweils 11:0 Spielen hatten die zwei großen Anteil am bisherigen Höhenflug der Bezirksliga-Dritten. „Die beiden haben sich überraschend schnell an die Wettkämpfe im Herrentischtennis gewöhnt, zumal es dort gegen teilweise sehr unangenehme Spielertypen zu bestehen gilt“, sagt VfL-Spielbetriebsleiter Jochen Kugler, „die Entwicklung von Ahmad und Mudi in den letzten Monaten ist beinahe schwindelerregend. Sie spielen sehr fokussiert und spielen auch taktisch klug.“ Im mit Turnieren spärlich gespickten Corona-Jahr waren die beiden Brüder im badischen Viernheim erfolgreich, wo sie die Herrenkonkurrenz mächtig aufmischten. „Vor allem fand ich es toll, dass sie sich dabei gegenseitig zum Erfolg coachten“, sagt der stolze Vater. Und ergänzend: „In einem großen Verein wie Herrenberg können sie sich noch etwas hocharbeiten.“

Nesthäkchen Fatme, Spitzname „Muma“, hat nach Ansicht vieler das Potenzial, hochklassig zu spielen. Alexandra Kaufmann, Bundesligaspielerin der SV Böblingen, ist eine, die es wissen muss. Seit einiger Zeit hat sie die Elfjährige im Rahmen ihrer Trainerausbildung unter ihren Fittichen. „Schon nach dem ersten Balleimertraining war mir klar, dass wir gut harmonieren. Muma ist so eine kleine Miniversion von mir, als ich in ihrem Alter war“, sagt die 18-jährige mit einem Lächeln, „sie lernt schnell, ist sehr ehrgeizig und wenn mal etwas nicht klappt, kämpft sie sich durch.“ Mehrmals pro Woche trainiert Alexandra Kaufmann mit ihrem Sprössling in der Landeskadergruppe. Kurz vor Weihnachten wurde die 11-jährige vom Deutschen Tischtennisbund zu einem Sichtungslehrgang nach Frankfurt eingeladen. Zum zweiten Mal hieß es für den zierlichen Wirbelwind, die Schulbank mit dem Tischtennisschläger einzutauschen. Ab Januar ist Fatme El Haj Ibrahim, die in ihrem Jahrgang zu den besten Talenten Baden-Württembergs gehört, im Damenbereich für den VfL Sindelfingen spielberechtigt, in der Jugendklasse bleibt sie indes dem VfL Herrenberg treu.

Das ganze organisatorische Drumherum ließe sich nach Ansicht von Talal El Haj Ibrahim nicht stemmen, wenn man da nicht auf die Unterstützung seiner Gattin zählen könnte. „Anja übernimmt häufig den Fahrdienst und ist immer da, wenn sie von den Kindern gebraucht wird. Und das ist bei einer vielbeschäftigten Tischtennisfamilie recht oft der Fall“, findet der Familienvater lobende Worte. „Wer weiß, vielleicht steige ich irgendwann noch beim Frauenteam des VfL ein“, sagt die 39-jährige Anja El Haj Ibrahim, die auch schon zum Schläger gegriffen hat.

Ungeachtet der hervorragenden sportlichen Perspektive der drei Kinder ist man sich im Hause El Haj Ibrahim bewusst, dass es bis zu einer möglichen Profikarriere noch ein weiter Weg ist. „Mir ist es jedenfalls lieber, die Kids verbringen das Wochenende mit dem Tischtennissport als zuhause vor der Playstation“, hat Talal El Haj Ibrahim eine klare Meinung. Ein passendes soziales Umfeld und die richtige Mischung aus sportlichem Kampfgeist und Fairness sollen die Kinder in ihrer weiteren Entwicklung voranbringen. Und gerade auf sportlicher Ebene geht es momentan richtig zügig nach vorne. Noch einmal Talal El Haj Ibrahim: „Mal schauen, wohin die Reise bei den dreien geht. Zurzeit sind unsere Kids richtig engagiert bei der Sache, zum Teil sind sie sogar tischtennisverrückt. Das Wichtigste aber ist: Wir sind mit drei einfachen Kindern gesegnet, die bislang immer auf dem Boden geblieben sind.“

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