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Hintergrundberichte   Pressemitteilung  

Annett Kaufmann im Gespräch

Ein wertvoller Aufenthalt im Reich der Mitte

Für eine 16-jährige prallt in letzter Zeit doch recht viel auf Annett Kaufmann ein. Die Team-Weltmeisterschaften im chinesischen Chengdu stellten, zumal mit dem Gewinn der Bronzemedaille, einen weiteren Höhepunkt im noch so jungen Sportlerleben der Böblinger Bundesligaspielerin dar. Und auch wenn sie als Nummer fünf des deutschen Teams selbst nicht im Wettkampf gefordert wurde, so möchte sie die gewonnene Auslands- und Turniererfahrung keineswegs missen.

„Langweilig war es jedenfalls nie in China“, sagt Annett Kaufmann, die es zeitweise schon etwas befremdlich fand, wie die Weltmeisterschaften im großen Reich der Mitte vonstattengingen. Wegen Chinas Null-Covid-Strategie ist die Tischtennis-WM in diesem Jahr neben den Olympischen Winterspielen die einzige internationale Sportveranstaltung in China auf diesem Niveau. „Alle Teilnehmer befanden sich in der Bubble, alles war eingezäunt“, erzählt sie von der geschlossenen Gesellschaft, „es gab nur ein Haupttor, durch das die Busse aus- und einfuhren, alles andere war eingegrenzt. Im Hotel konnte man etwas umherlaufen, aber überall waren Wachleute, Sicherheitskontrollen und Kameras. Auch wenn die Regeln streng waren, so war es ein top organisiertes Turnier und ich konnte die Zeit vor Ort aber trotzdem genießen.“    

Untereinander sorgten die jungen Sportler für ihr eigenes Entertainment, zum Beispiel beim Karaoke-Singen zu Songs von Taylor Swift oder Ed Sheeran. Da wurde mit Spielerinnen aus anderen Nationen, von denen Annett Kaufmann aus Jugend- und Juniorenturnieren einige kennt, nach Herzenslust geträllert. „Wir hatten schon unseren Spaß. Und nebenher konnte ich auch etwas für die Schule tun“, sagt die Elftklässlerin des Bietigheimer Ellental-Gymnasiums, die öfter mit ihrem Tablet digital unterwegs war. „Über die Schul-App bekommt man einiges zugeschickt, das man sich herunterladen kann. Auch auf dem 13-Stunden-Flug habe ich Deutsch-Kurzprosa oder Mathe gelernt, damit ich zuhause nicht komplett ins kalte Wasser springe.“ Und so ganz nebenbei erfüllte Annett Kaufmann in Chengdu noch die Wünsche mancher Medienvertreter, für den Deutschen Tischtennisbund verfasste sie ein Online-Tagebuch, außerdem schilderte sie ihre Eindrücke in einem bekannten Tischtennis-Podcast.

Dass sie sportlich gegen die Besten der Welt nicht direkt am Tisch gefordert war, schmerzte den Youngster nicht. Als deutsche Nummer fünf konnte sie nicht von zahlreichen Einsätzen ausgehen. „Klar, ein bisschen Hoffnung hatte ich schon, dass ich mal zum Einsatz komme, aber ich will genauso wie die Trainer das Beste für unser Team. Und wenn andere den Vortritt bekommen, habe ich damit kein Problem. Ich bin ja noch jung“, zeigt sich Annett Kaufmann gewohnt unbekümmert. So machte sie aus der Situation das Beste, absolvierte Trainingseinheiten mit ihren Teamkolleginnen und feuerte während des Wettkampfs das deutsche Team nach Leibeskräften an. Mit Erfolg: Das Schwimmen auf der Erfolgswelle endete beim DTTB-Team bekanntlich erst im Halbfinale mit der 0:3-Niederlage gegen Japan. „Bei der Siegerehrung auf dem Podest, als wir in die Menge winkten, fühlte ich mich schon ein bisschen wie ein Star“, gibt Kaufmann zu, „jedenfalls war es nicht schlimm, dass ich selbst nicht spielte. Meine Zeit wird noch kommen.“

Nach der Rückkehr wurde Annett Kaufmann nachts noch eine kurze Zeit vom Jetlag in Beschlag genommen („dafür war ich dann in der Schule wacher“). Am vergangenen Wochenende folgte sie mit Mutter und Chauffeur Anna der Einladung nach Düsseldorf. Dort fand die Proklamation der Deutschen Sporthilfe zum Juniorensportler des Jahres statt. Hinter der Biathletin Lisa Spark landete sie auf Rang zwei. „Natürlich wollte ich gewinnen, weil wir im Vorfeld auch viel Werbung gemacht haben, aber das war ja hoffentlich nicht meine letzte Wahl“, war Annett Kaufmann keineswegs enttäuscht.

Am frühen Sonntagmorgen gegen 4 Uhr war Annett Kaufmann dann auch wieder zuhause. „Ich konnte bei meiner Mutter im Auto sehr gut schlafen“, sagt sie. Was man ihr zweifelsohne abnimmt: Sechs Stunden später absolvierte sie im Böblinger Trikot zwei erfolgreiche Einzel und ein siegreiches Doppel und hatte großen Anteil am 6:2-Coup des SVB über Kolbermoor.

Auf die Frage, wie sie die ganzen Strapazen, verbunden mit Leistungssport und Schule, unter einen Hut bringt, antwortet sie: „Ich würde lügen, wenn ich sage, es ist einfach. Aber ich habe mir diesen Weg ausgesucht. Generell spiele ich Tischtennis, weil mir der Sport Spaß macht. Und ich schätze mich als zielstrebig ein und möchte in allen Bereichen möglichst das Beste geben. Bislang ist mir das recht gut gelungen.“ Und ob sie den Ehrgeiz von ihren Eltern, beides ehemalige Leistungssportler, übermittelt bekam? „Eher das Gegenteil. Meine Eltern machen mir überhaupt keinen Druck. Sie geben mir Tipps und es ist sicherlich ein Vorteil, dass sie gewisse Situationen bei mir gut einschätzen können. Aber am Ende muss ich meine Entscheidungen selbst treffen. Da sie nicht vom Tischtennis kommen, sind sie eher für den mentalen Bereich verantwortlich. Was meine Ziele im Sport angeht, wären die Olympischen Spiele schon ein Traum. Ich bin ready, weiter an mir zu arbeiten.“

Thomas Holzapfel

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