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Inge und Heinz Harst

TTBW-Serie: Was machen eigentlich...

„Wir sind schon geimpft.“ Das online-Gespräch mit Inge (80 Jahre) und Heinz (86) Harst beginnt mit der obligatorischen Frage in diesen verrückten Corona-Zeiten. Entsprechend sind beide gut gelaunt. Keine Anzeichen von negativer Perspektive. Ihre zuversichtliche Gestik steckt auch über den Bildschirm an.

 

Dazu haben die beiden auch allen Grund: „Wir sind neben den Schölers [Anm.: Diane und Eberhard] das einzige Ehepaar im Deutschen Tischtennis, das Deutscher Meister war“, streicht Heinz eine Besonderheit in der gemeinsamen Tischtennis-Karriere heraus. Gattin Inge setzt gleich noch einen drauf und rückt damit auch irgendwie die Prioritäten zurecht: „Dieses Jahr sind wir 60 Jahre verheiratet.“ Es ist deutlich zu spüren: Auf die gemeinsame Zeit blicken beide mit Stolz zurück.

Im Hause Harst herrscht Leben, auch an diesem Tag. Drei Generationen haben den Computer für Omas und Opas erste Video-Konferenz hergerichtet. Heinz hat den sportlichen Statistik-Teil sorgsam auf dem Papier hergerichtet. Inge sprüht nur so vor Erzählfreude. Geschichten aus der guten, alten Zeit wechseln sich ab mit den aktuellen Plänen der Harst-Großfamilie und dem Tischtennis in Neckarsulm. Dort ist die Heimat von Inge und Heinz Harst seit gut 55 Jahren.

Beim Tischtennis kennen gelernt

Rückblick auf das Jahr 1959: Bei den Deutschen Einzelmeisterschaften in Donaueschingen lernten sich Inge Müser und Heinz Harst kennen – und lieben. Heinz wurde dort Deutscher Vizemeister im Einzel, Inge Deutsche Meisterin im Doppel. Zwei der besten deutschen Tischtennisspieler wurden ein Paar. Später auch am Tisch: 1963 und 1964 gelang den beiden gemeinsam der Deutsche Titel im Mixed. Inge aus Rodenberg bei Hannover zog 1961 nach Stuttgart - der Liebe wegen. Die wurde mit der Hochzeit im gleichen Jahr besiegelt. 1965 ging es für die Harsts nach Neckarsulm, der Heimat von Heinz.

„Reigschmeckt im Schwobeländle“

Inge kam also aus Niedersachsen ins Schwabenland. Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man die sprachliche Umstellung. Inge: „Das war eine ganz schwierige Zeit. Ich habe bei der Arbeit nur die Hälfte verstanden, am Anfang einen Übersetzer gebraucht ….“, so die gelernte Großhandelskauffrau. Und auch die Integration in einen Tischtennis-Verein kann man sich leichter vorstellen. Heinz Harst, der zuvor in Neckarsulm spielte, zog nach seinem Ingenieur-Studium in Schwäbisch Gmünd nach Stuttgart. Dort war der Sportbund Stuttgart erste Anlaufstation. Heinz blickt auf den Sportbund der 60er-Jahre zurück: „Bis dahin waren alle weiblichen Mitglieder abgewiesen worden …“. Doch der Abteilungsleiter des Vereins hatte ein Einsehen mit der Deutschen Meisterin. Inge: „Aber als ich kam, war Kuno Walter hoch erfreut, wir sind mit offenen Armen empfangen worden.“ Eine Damen-Mannschaft ließ sich dennoch in diesen vier Jahren nicht bilden. Ebenso wie Christiane Küchler trainierte Inge Harst dann eben mit den Männern, die zur Deutschen Spitze gehörten.

Und auch der gesellige Aspekt stimmte offenbar. Dazu Inge: „Das war eine ganz tolle Zeit. Beim Sportbund haben wir immer etwas unternommen. Ich hatte damals einen neuen Beruf. Nach dem Training und nach den Spielen ging es immer in die Gaststätte. Wir hatten treue Fans, die waren auch immer dabei. Samstagabends zogen wir anschließend noch weiter: Tanzen in der Bier-Bar U2 in der Altstadt. Da wurde es immer spät – das war klasse.“

1965 dann der Wohnort-Wechsel nach Neckarsulm. Heinz: „Ich hatte ein gutes Angebot beim Daimler, dort im Werk.“ So kehrten die Harsts an den Ort zurück, an dem 1947 die Tischtennis-Laufbahn von Heinz begann.

Denkmal in Neckarsulm

Gemeinsam mit Gerhard Werz hatte er bereits in den 50er-Jahren das Tischtennis in Neckarsulm salonfähig gemacht. Nach ihrer Jugendzeit lösten die beiden die alte Württembergi­sche Garde ab. Zusammen sammelten sie 7 Württembergische Meisterschaften im Herren-Doppel und 2 Bronzemedaillen bei Deutschen Meisterschaften. Es folgte die Zeit von 1961 bis 1965 in Stuttgart. Danach ab Mitte der 60er-Jahre: Inge und Heinz Harst agierten über Jahrzehnte als Spitzenspieler der Neckarsulmer Damen und Herren. Bis zur 2. Bundesliga.

Stehen die beiden heute noch am Tisch? Inge: „Nein, 1985 habe ich aufgehört, in der Mannschaft zu spielen.“ Und Heinz: „Ja, ich bin in der 6. Herren-Mannschaft an Nr. 3 aufgestellt, spiele noch ab und zu. Tischtennis soll ja gesund sein …“

Das rüstige Paar steht heute also weniger am Tisch, ist aber immer noch sportlich. Auch mit 80 verzichtet Inge weitgehend aufs Auto. "Ich kaufe fast alles mit dem Fahrrad ein, mache einiges, um fit zu bleiben", sagt sie. Ergänzt wird das Sport-Programm durch Gymnastik.

Aktiv Spielen ist das eine. Sich kümmern, motivieren und große Erfahrung einbringen das andere. Schon deshalb gilt: Tischtennis bei der Neckarsulm Sport-Union (NSU) ist ohne das Ehepaar Harst nicht denkbar. Beide waren und sind unverzichtbar fürs Vereinsleben.

Inge baute die erfolgreiche Tischtennis-Abteilung der SV Neckarsulm (der Vorgänger-Verein der NSU) mit auf, betreute noch lange nach ihrer aktiven Karriere den Nachwuchs als C-Lizenz-Trainerin und Jugendleiterin. „Viele Jahre konnte ich hier in Neckarsulm die Fördergruppe gestalten.“ Außerdem agierte sie bis 2014 als Team-Betreuerin der Damen-Mannschaft - jenes Teams, das sie mit Eigengewächsen in der Saison 1979/80 bis an die Spitze der 2. Bundesliga führte. Und: „Bis vor zwei Jahren habe ich noch mit den Enkeln im Keller gespielt.“

Auch Heinz betreute bis vor wenigen Jahren Neckarsulms 1. Herren. Gute Basis dafür war seine Trainer-A-Lizenz. Als Qualifikation für die Aufgabe des Lehrwarts im TTVWH, die er 1969 übernahm. Mit Akribie wurde da geübt. Wie auch das von herausgegebene Tischtennis-Buch „Tischtennis-Training“ zeigt. Später folgte eine weitere ehrenamtliche Tätigkeit im Verband. Von 1993 bis 2001 war Heinz Harst im TTVWH Vizepräsident Sport. Ehrungen konnten da nicht ausbleiben: Er wurde zum TTVWH-Ehrenmitglied ernannt. Die DTTB-Ehrennadel in Silber ergänzt seine Sammlung.Als ehemaliger Verbandsfunktionär kann sich Heinz eine Bewertung des neuen Verbands Tischtennis Baden-Württemberg nicht verkneifen:„Es wäre besser, wenn Baden dabei wäre.“

Und heute? Heinz erstellt immer noch Berichte von den NSU-Spielen. Inge ist Vorsitzende des Jugend-Fördervereins. Ihr Ziel ist es, 100 Mitglieder für die gute Sache zu gewinnen. „Zurzeit sind wir bei 58. Es ist nicht einfach in diesen Zeiten. Man kann keine persönlichen Gespräche führen.“ Ganz anders war das vor der Corona-Pandemie.

Wie aus der Pistole geschossen ergänzt Inge: „Wir sind die Zuschauer.“ Und tatsächlich: Praktisch jeden Samstag sieht man die Harsts bei den Heimspielen auf der Tribüne der „Ballei“ in Neckarsulm. Bei Auswärtsspielen der NSU-Teams verfolgt sie das Geschehen über den Liveticker am Handy. Logische Folge angesichts aller Verdienste fürs Neckarsulmer Tischtennis: Vor der Ballei sollte eigentlich ein Harst-Denkmal stehen …

Beide deutsche Nationalspieler – Inge sogar Europameisterin

Denn für den Nachwuchs in Neckarsulm dürfen sie mit Fug und Recht als Vorbilder gelten. Als aktive Sportler haben Inge und Heinz praktisch alles erreicht. Die Karriere gipfelte für beide im Nationalteam:

Inge kann auf 52 Einsätze verweisen, Heinz auf 7 Einsätze. Inge nahm zudem an 4 Weltmeisterschaften und 2 Europameisterschaften teil. Sie krönte ihre Laufbahn mit den Titeln bei der Europameisterschaft im Mixed (mit Hans Alser) und in der Mannschaft (mit Agnes Simon) 1962 in Berlin. Zweimal Gold holte sie bei Deutschen Titelkämpfen im Damen-Einzel 1960 und 1961.

 

Heinz war 1959 Deutscher Vizemeister im Herren-Einzel und dann dreifacher Württ. Einzelmeister, gemeinsam mit Inge zweifacher Deutscher Mixed-Meister. Darüber hinaus gelang ihm nicht nur die Vizemeisterschaft im Herren-Einzel bei den Deutschen Meisterschaften in Donaueschingen, sondern auch dreimal die württembergische Einzelmeisterschaft sowie sieben Doppel-Titel und acht im Mixed. Ein Mixed-Spezialist also? Dazu Inge schnippisch: „Du hattest ja auch immer gute Partnerinnen …“ Im Mannschaftssport agierte Heinz von 1961 bis 1965 als Spitzenspieler des Sportbund Stuttgart. Dreimal erreichte sein Team in dieser Zeit das Deutsche Halbfinale, im Jahr 1964 gar das Endspiel gegen Meister TuSa Düsseldorf mit Eberhard Schöler. 1965 schließlich holte Harst gemeinsam mit Elmar Stegmann und Bernd Kurz den europäischen Messe-Cup für den Sportbund. Im Finale gegen den PSV Stuttgart hieß es 5:2.

 

Familie

NSU Neckarsulm und die Harst-Großfamilie – das gehört einfach zusammen. Beide Töchter, Anette und Susanne, haben in Neckarsulms Damen-Team 2. Bundesliga gespielt. Susanne hilft auch heute noch manchmal im Landesliga-Team aus. Beide Schwestern sind als Trainerinnen verschiedener Gruppen bei der NSU aktiv. Anettes Lebensweg hielt gleich zu Beginn eine herrliche Anekdote parat. Dazu Mutter Inge: „Als ich nach der Geburt von Anette in Stuttgart im Krankenhaus lag, fragten mich die Krankenschwestern: „Dass bei einer Geburt so viele Männer zu Besuch kommen, haben wir hier noch nie erlebt.“ Inge konnte beruhigen: „Das sind alles nur meine Trainingspartner im Tischtennis.“

Inzwischen geht bereits die dritte Generation der Harsts erfolgreich an die Tische. Marius und Anna Gumbrecht, die Kinder von Tochter Susanne, agieren beide in der höchsten Jugendklasse, der Verbandklasse. Anna wurde gar zweimal Deutsche Meisterin mit dem Schülerinnen-Team. Mit den Großeltern als Zuschauer? Inge: „Nein, ich bin zu Hause geblieben. Aber Heinz war dabei.“ Nach dem ersten Titel folgte im Jahr darauf ein dritter Platz – ohne Heinz. Inge: „Dann haben Sie Heinz bekniet, bei den nächsten Meisterschaften wieder mitzukommen – als Glücksbringer.“ Und siehe da: Anna wurde mit ihrem Team erneut Deutscher Meister. Da schließt sich der Kreis von drei Generationen Harst …

Bericht:Thomas Walter  Fotos: privat

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